Wir brauchen einen Finanzsektor, der zuallererst der Realwirtschaft dient

Barbara Unmüßig, Vorstand der Heinrich-Böll-Stiftung

Von Jonny Rieder
Goethe-Institut: Interview mit Barbara Unmüßig zur Finanztransaktionssteuer

Die Idee einer Steuer auf Finanztransaktionen geht zurück auf den englischen Wirtschaftswissenschaftler John Maynard Keynes (1883-1946) und seinen Schüler James Tobin (1918-2002). Doch erst seit der Finanzkrise der letzten Jahre findet die Steuer in Wirtschaft und Politik wachsende Zustimmung. Zu den Befürwortern gehört auch Barbara Unmüßig, Politikwissenschaftlerin und Vorstand der Heinrich Böll Stiftung.

 

Jonny Rieder: Sie plädieren für die Einführung einer Finanztransaktionssteuer (FTT), eine Art Mehrwertsteuer auf Finanzgeschäfte. Was erhoffen Sie sich davon?

Barbara Unmüßig: Mit der FTT werden alle Klassen von Finanzvermögen besteuert: Aktien, Anleihen, Derivate, Kreditverbriefungen. Ein großer Teil spekulativer Geschäfte würde mit der Steuer unrentabel und vom Markt verschwinden. Selbst bei einem minimalen Steuersatz von 0,05 % würden viele Milliarden in die überschuldeten öffentlichen Kassen fließen. So werden endlich die Verursacher der Krise zu deren Bewältigung herangezogen. Die Gelder aus der FTT müssen auch für sozialen und ökologischen Ausgleich sorgen und für globale Aufgaben bereitstehen.

 

Jonny Rieder: Nach dem letzten G20-Gipfel in Toronto scheint die Einführung einer globalen FTT sehr unwahrscheinlich. Wie realistisch und sinnvoll halten Sie die Einführung der FTT in Deutschland bzw. innerhalb der EU?

Barbara Unmüßig: Ja, es scheint unrealistisch, dass es bald zu einer weltweiten Einführung einer FTT kommt. Die USA wollen sie nicht, dagegen sind auch Großbritannien mit dem globalen Finanzplatz London und Schwellenländer wie Brasilien. Die Debatte der nächsten Monate wird sich auf die Europäische Union konzentrieren und dann auf die Länder der Eurozone. Finanzminister Schäuble steht hier im Wort. Offen ist: Wie muss die FTT gestaltet sein? Welche Wirkungen hat sie auf den europäischen und globalen Finanzmarkt? Wie hoch soll die Besteuerung sein? Wie wird das Geld eingesammelt? Wenn der politische Wille da ist, wird es auch Antworten auf diese komplizierten technischen Fragen geben.

 

Jonny Rieder: Auslöser der Finanzkrise waren weniger kurzfristige Spekulationen auf Kursschwankungen (worauf die FTT abzielt) als vielmehr kreditfinanzierte Spekulationen. Welche weiteren Maßnahmen empfehlen Sie, um den Finanzmarkt besser zu kontrollieren? Welche Möglichkeiten gibt es auf nationaler Ebene?

Barbara Unmüßig: Wir brauchen einen Finanzsektor, der zuallererst der Realwirtschaft dient. Dazu reicht ein viel kleinerer Bankensektor. Zudem mangelt es dort an Wettbewerb. Die großen Banken drängen geradezu in die Spekulation, erfinden immer neue Finanzmarktprodukte, um ihren Profit zu maximieren. „Too big to fail“ („zu groß, um zu scheitern“) umreißt dieses Größenproblem der Banken. Sie verhalten sich unverantwortlich und überlassen dann der Allgemeinheit die Schadensbekämpfung mit all den wirtschaftlichen und sozialen Kosten. Eine FTT entschleunigt den Finanzmarkt. Ferner muss die Regulierung verbessert werden – ernst gemeinte Bankenaufsicht, Kontrolle, aber auch Verbote bestimmter Finanzprodukte. Die neue US-amerikanische Behörde zum Schutz für Konsumenten von Finanzprodukten ist ein guter Ansatz.

 

Jonny Rieder: Initiativen wie "Attac" sehen in der FTT eine "Robin Hood Steuer" bzw. "Steuer gegen Armut". Aber was kann Geld allein gegen Armut ausrichten? An der Entwicklungshilfe wird immer wieder kritisiert, dass sie wenig bis nichts erreicht habe, gerade in den ärmsten Ländern.

Barbara Unmüßig: Die Finanzkrise hat viele Entwicklungserfolge im Süden zunichte gemacht. Die Weltbank schätzt, dass mehr als 100 Millionen Menschen krisenbedingt und ohne eigenes Verschulden in die Armut zurückgefallen sind. Zudem sparen die verschuldeten öffentlichen Kassen in Zukunft an Geldtransfers in den Süden. Schon jetzt halten sich die meisten Industrieländer nicht an ihre Zusagen, mehr Geld für Armutsbekämpfung und Klimaschutz zu geben. Die Überwindung der Armut und eine nachhaltige klimafreundliche Entwicklung können nicht alleine durch steigende Entwicklungshilfe bewältigt werden. Die Arbeit der einzelnen Ressorts müsste dringend aufeinander abgestimmt werden: Stabilisierung und Wachstum, Klimaschutz, Handel, Steuerpolitik, Korruptionsbekämpfung und Migration – das gehört alles zusammen. Davon sind wir leider weit entfernt. Wichtig ist auch, dass die Finanztransfers in den Süden stets kritisch analysiert werden. Wem kommt das Geld zugute? Wirklich einem natur- und sozialverträglichen Klimaschutz? Den Armen oder den Eliten? Nicht alles, was Kohlendioxid einsparen hilft, ist sozial oder naturverträglich. Riesige Zuckerrohrfelder für Bioethanol verdrängen den Anbau von Nahrungspflanzen. Atomkraft ist keine Antwort auf die Energie- und Klimakrise. Großstaudämme vertreiben gerade aktuell im Amazonas und in China Abertausende - leider und zu oft auch mit Mitteln aus der Entwicklungshilfe. Mehr Geld für den Süden muss einhergehen mit klaren sozialen und ökologischen Anforderungen an diese Transfers und mit Reformen bei den Institutionen. Im Entwicklungsgeschäft läuft viel zu viel unkoordiniert und inkonsequent.

Das Interview führte Jonny Rieder

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